Die Pflanzenzüchtung ist das wichtigste Instrument, um Kulturpflanzen zu verbessern und sie der sich ändernden Umwelt, den sich wandelnden Bedürfnissen der Konsumenten und den wachsenden Anforderungen der Verarbeitungsindustrie anzupassen. Kulturpflanzen sind zunächst durch unbewusste, später durch bewusste Auslese aus Wildpflanzen entstanden. Gregor Mendel hat Ende des 19. Jahrhunderts die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung erkannt und den Grundstein für eine wissenschaftliche Züchtung gelegt. Zeitgenössische Pioniere in der Braugerstenzüchtung sind Rimpau, Heine, Neuhaus und Bestehorn. Der bayerische Hofrat Kraus hat die systematische Anwendung der Kreuzungszucht Anfang des letzten Jahrhunderts in Kooperation mit der Malzwirtschaft zur Vollendung gebracht. Ziele der Braugerstenzüchtung sind neben der Verbesserung der agronomischen Eigenschaften wie Resistenz-, Ertrags- und Qualitätseigenschaften in erster Linie die gute Verarbeitbarkeit in Mälzerei und Brauerei sowie die Qualität der Inhaltsstoffe, die auf die Geschmacksstabilität und Zusammensetzung der Biere Einfluss nehmen.
Die Erfolge der Braugerstenzüchtung, die in Deutschland seit über 100 Jahren betrieben wird, sind beachtlich. So konnte eine erhebliche Steigerung der Ertragsleistung bei Braugerste erzielt werden. Hatte in der Vergangenheit die Ertragsleistung Vorrang, so stehen heute neben der Ertragsleistung auch die Ertragssicherheit und die verwendungsgerechte Qualität auf der Hitliste der Zuchterfolge. Bis eine neue Braugerstensorte jedoch die Akzeptanz der Verarbeitungsindustrie erfährt und einen etablierten Marktanteil erreicht, vergehen einige mühevolle Jahre der Zuchtarbeit und der Prüfung der Sorte durch verschiedene Institutionen. Die nachstehende Übersicht veranschaulicht den Werdegang einer neuen Zuchtsorte bis zu Ihrer Zulassung und Marktreife.
Schema einer Neuzüchtung am Beispiel Getreide
Die Braugerstenzüchtung ist in Deutschland vorwiegend mittelständisch strukturiert. Die Züchtung erfolgt unter Einsatz der klassischen Kreuzungszüchtung, die durch biotechnologische Methoden beschleunigt und unterstützt wird. Beim klassischen Zuchtgang werden ca. 10 bis 12 Jahre züchterischer Arbeit benötigt bis eine neue Sorte zugelassen wird. Mit dem Einsatz von doppelhaploiden Pflanzen oder markergestützter Selektion kann diese lange Aufbauzeit einer neuen Sorte um 2 bis 3 Jahre verkürzt werden. Aber auch die Zucht von Wintergenerationen im Gewächshaus und während der Sommermonate auf der Südhalbkugel der Erde bringen weitere Generationen innerhalb eines Kalenderjahres hervor und beschleunigen so den Zuchtgang.
Sortenprüfwesen bei Getreide
Die Laufzeit der derzeit im Markt befindlichen Braugerstensorten ist in den vergangenen Jahren immer kürzer geworden. So waren die Sorten Alexis, Scarlett und Barke beispielsweise 10 Jahre und mehr mit erheblichen Flächenanteilen der Gesamtanbaufläche in Deutschland vertreten. Heute findet der Zuchtfortschritt neuer Braugerstensorten schnellere Akzeptanz in der Verarbeitungsindustrie. Das Berliner Programm leistet mit seinen Versuchsreihen, insbesondere mit den Praxisgroßversuchen, einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung des Informationsflusses über Verarbeitungseigenschaften neuer Braugerstensorten und unterstützt so eine rasche Auswahlentscheidung. Bei gleichzeitiger Saatgutvermehrung kann so zeitnah zur Zulassung durch das Bundessortenamt die Markteinführung einer neuen Sorte vorangetrieben werden.